Als das Stadtbad gebaut wurde, war Neukölln eine aufstrebende Stadt im Südosten des kaiserlichen Berlin. Die Stadtoberen hatten entschieden, das piefige
Provinz-Image hinter sich zu lassen, am besten mit einer Namensänderung und ab 1912 wurde aus Rixdorf Neukölln.
Wie viele Gemeinden im Berliner Umland war auch Rixdorf/Neukölln rasant gewachsen, die städtische Infrastruktur musste da mitwachsen. Das tat sie auch – unter
Federführung des Stadtbaumeisters Reinhold Kiehl (1874-1913). Neben vielen kommunalen Zweckbauten gelten als großes Vermächtnis Kiehls das Neuköllner Rathaus, das Krankenhaus Neukölln in Buckow,
das Bahnhofsgebäude der S-Bahn an der legendären Sonnenallee und das Stadtbad Neukölln
Am 10. Mai 1914 öffnete eine repräsentative und großzügig ausgestattete Badeanstalt mit monumentaler Fassade, zwei Hallen, großer Heilbäder- und Saunaabteilung,
Sonnenterrasse und einer Volksbücherei ihre Pforten.
Wer vor dem langgestreckten Gebäude in der Ganghofer Straße 3 steht, muss den Blick auf Weitwinkel stellen – 100 Meter und drei Geschosse sind sonst nicht zu
erfassen. Die heute in Grautönen gehaltene Fassade ist vertikal durch Pilaster und horizontal durch ein Hauptgesims gegliedert. Eingelassene Bogenfenster durchbrechen die streng lineare
Gestaltung und geben dem monumentalen Bauwerk erstaunliche Leichtigkeit.
Obwohl oder vielleicht auch weil Gesundheit und Hygiene im Vordergrund des Bäderbaus standen, wurde hier weder am Material noch an der Ausstattung gespart. Die
Kassenhalle ist mit Terrazzoboden und Marmorwänden ausgestaltet, die Wände im Treppenaufgang mit dem alten marmorartigen Werkstoff Stucco Lustro verkleidet, darüber ein lichtspendendes reich
verziertes Glasdach.
Die beiden Schwimmhallen wurden im Stil einer römischen Therme gestaltet. Je sieben Säulen säumen beiderseits die Becken. In der großen (Männer)Halle tragen sie ein
Tonnengewölbe, das an der Stirnseite in eine Apsis mündet: in der Kuppel ein Mosaik, am Beckenrand zwei Tier-Plastiken. Ohne Apsis, aber mit gerundetem Becken und zahnfriesbewehrter Flachdecke
ist auch die kleine (Frauen)Halle ein Juwel des kaiserzeitlichen Bäderbaus.
Im zweiten Obergeschoss ist die Saunaanlage. Auch hier ist noch viel historisches Flair. In den Ruheräumen wurden die dezentfarbigen Schmuckfliesen und hölzernen
Wände restauriert; das Tauchbecken ziert ein 100 Jahre alter Frosch, die umliegenden Duschnischen sind mit Wandmosaiken ausgekleidet.
Das Stadtbad Neukölln steht seit 1979 unter Denkmalschutz. Zwar kam der Bau gut durch den zweiten Weltkrieg und blieb auch in den Folgejahren geöffnet. Aber
Schließung und baulich-technische Modernisierung waren alternativlos. 1984, am 10. Mai, wurde das alte neue Stadtbad wieder eröffnet.
Wer in der Historie schmökern will, dem seien die beiden Festschriften zur Eröffnung 1914 und zur Wiedereröffnung 1984 empfohlen. Wer in Geschichte chillen und
baden will, hockt sich zwischen die wasserspeienden Walrösser in der Großen Halle, flirtet mit den neun antiken Grazien auf dem Wandmosaik in der Kleinen Halle oder lauscht nach getaner
Saunaarbeit den Klängen der Großstadt auf der historischen Sonnenterrasse. (Hier ein Video zum Bad)
Stadtbad Neukölln, Ganghoferstraße 3, 12043 Berlin